15 Jahre EXPO-Projekt
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Das Expo 2000-Projekt "naturnahe Abwasserbehandlung" in Gadenstedt wird nun 15 Jahre alt. Mit dem Entscheid zu einer zentralen Kläranlage wird dieses mittlerweilige einmalige Biotop nun vielleicht sterben.
Die Gemeinde Lahstedt hatte im November zu einem Rückblick eingeladen, zu einer Vortragsveranstaltung über die biologische Leistungsfähigkeit dieser Anlage, und was darüber hinaus noch von der Natur kostenlos aus dem Abwasser entfernt wird.
Und so begrüßte Hans-Joachim Kloster zum Informationsabend des Abwasserausschusses im Gemeindesaal.
1999 gab es den Ideenwettbewerb zur Weltausstellung Expo2000 unter dem Motto „Mensch, Natur und Technik“ - und Lahstedt war damit eines von 43 externen Projekten und es zeigt sich immer noch seiner Meinung nach als nachhaltiges Projekt. Er begrüßte Dr. Kunze, Dr. Oelke und Manfred Tinius.
Manfred Tinius freute sich, daß sich so viele Zuhörer eingefunden haben, umzu hören, was in 15 Jahren erreicht wurde. Man hatte vor 15 Jahren den Zustand eines älteren Tropfkörpers Gadenstedts und so entschied man sich für ein Nachklärbiotop. Da es damals nur Genehmigungen für 1000er Nachklärbiotope gab, Gadenstedt aber über 3000 Einwohnervergleichswerte verfügt wurde der Genehmigungsprozeß damals ein wenig schwierig. Aber im Rahmen der Expo wurde dieses dann doch möglich. Und es entstanden die Schilf-Nachklärbecken 1-4. Flächenbedarf ca 1 Hektar.
Zudem gab es damals die Entscheidung des Rates, zum einen, einen möglichst guten Klärprozeß zu erreichen, und zum anderen, kein ungeklärtes Abwasser in die Natur zu entlassen. Und so entstand das zusätzliche Mischwasser-Biotop, in dem jegliches weitere Wasser hineingeht, was im Ort abgeschlagen wird (Straßen, Dächer) und von der Kläranlage nicht erfaßt wird: Die beiden Teiche nahe der Fuhse mit einem ähnlichen Flächenbedarf von ca. 1 ha.
Nahe des Tropfkörpers ergab sich ein weiterer Schritt, da es damals eine große Diskussion gab, bezüglich der Klärschlammverbrennung in Querum. Damals entschied man sich für eine Klärschlammvererdung, und diese Beete arbeiten interessanterweise immernoch – und sind immernoch nicht voll.
In der Zwischenzeit gab es viele Besucher aus der ganzen Welt, die sich für diese biologische Anlage interessierten: Korea mehrfach, Vietnam mehrfach, Mexiko mehrfach, China mehrfach, Spanien und Rußland.
Er erzählte die Anekdote der russischen Delegation, daß ein quirliger Russe bei der Besichtigung einen Schluck des Wassers probierte, mit der Begründung, bei allen anderen Kläranlagen, die sie besuchten sei ein Geruch feststellbar gewesen, und das unsere würde riechen, wie Quellwasser.
Dr. Kunze präsentierte dann seine Ergebnisse zur Überwachung hormoneller Substanzen bei Schilfkläranlagen. Er klärte auf, über die Art der hormonellen Substanzen, wie Pharmazeutika, aber auch über die vielen Substanzen aus Pflanzenschutz, die dann wieder  beim Menschen ankommen (wegen der schlechten Abbaubarkeit).
Dazu gehören Endokrine Diskruptoren wie körpereigene Hormone, Hydrohormone, Mykotoxine, Pharmazeutische Hormone, aber auch industrielle Weichmacher (Phalate), als auch Biozide, bzw. synthetisierte industrielle Hormone.
Diese Hormone können zu Störungen in der Geschlechterentwicklung führen, carcinogene Wirkungen haben, bzw. Veränderungen der Knochenstrukturen hervorrufen.
Sein Institut hat ein biotechnisches Verfahren entwickelt, welches diese Riesenklasse an Substanzen nachweisen kann – basierend auf Hefen, mit passenden Rezeptoren einen Indikator dedektierend auslösend. Beim Östrogensensor kann man Konzentrationen von 5 nanoGramm/Liter nachweisen, Testosteron läßt sich mit 31 nanoGramm/Liter, bei Progesteron bei 52nanoGramm/Liter. Ebenfalls läßt sich ein Sumenparameter bestimmen.
Dieses Verfahren wurde in Gadenstedt, Münstedt und Lafferde in größerer zeitlicher Folge im Zulauf, im Ablauf und im Becken angewandt. Diese 12-Monats-Untersuchung, „wie effektiv arbeiten diese Naturkläranlagen“ benötigte eine Beprobung von täglich 8 Proben, summarisch 2000 Proben mit etlichen Helfern und Praktikanten.
Bei den Meßwerten der Östrogene im Zulauf (blau) und Ablauf (rot) zeigte sich, daß bis auf ein paar Peaks in Münstedt die Ablaufwerte gegen null gehen, trotz positiven Zulaufwerten.
Auch bei den Testosterogenen läßt sich ein sehr starker Abbau im Ablauf nachweisen. Ebenfalls bei den Progesteronen (z.B. Pille, Tier-Urin) konnte wieder eine Klärung zum Ablauf hin erreicht werden.
Als Fazit faßte er zusammen, daß die Anlagen sehr effektiv arbeiten. Wobei bei den Einlaufwerten der Tropfkörper nicht berücksichtigt war, der aber vorher schon ca 50% machte.
In der Fragerunde ergab sich, daß in Zukunft wohl über kurz oder lang gesetzliche Obergrenzen (Klärstufe 4) angestrebt werden. Diese Meßmethode kann aber auch im industriellen und Krankenhausbereich eingesetzt werden – wo allerdings energie- und rohstoffintensive Ozonisierungsmethoden zum Hormonabbau eingesetzt werden.
Auch wurde auf Nachfragen den naturnahen/biologischen Anlagen eine hohe Effizienz gegenüber industriellen Anlagen bescheinigt (Leuchturmprojekt), die nun mit diesen sensiblen (biotech/gentech-) Sensoren belegt werden kann. In Brüssel/Europa ist dieses im derzeitigen Norm-Verfahren.
Auf die Frage, was mit den Hormonen pasiere, ob sie chemisch geknackt werden, oder im Klärschlamm sich ansammeln würden wurde in dieser Studie allerdings nicht untersucht.
Manfred Tinius leitete dann über zu dem nächsten Vortrag, dessen Ursache daher rühre, daß man früher den Schilfbeetanlagen vorwurf, sie würde Schadstoffe nur aggregieren.
Leider sei Herr Professor Kutsch vom Helmholtz-Umweltzentrum verstorben, der zu diesem Punkt 2: „Bohrkernuntersuchungen aus der Klärschlammtrocknungstechnologie“ referieren wollte. Somit haben Dr. Kunze und Manfred Tinius diesen Punkt dargestellt:
So habe Professor Kutsch Bohrproben genommen in verschiedenen Tiefen, die jeweils unterschiedliche Klärschlamm-Alter darstellen.
Diese wurden untersucht nach organischem und anorganischen Gehalt. Hier korrelierte der TOC/TIC-Gehalt mit der Tiefe der Probe, das heißt je tiefer man kam, desto mehr organische und anorganische Schadstoffe sind abgebaut worden.
So konnte man im Vergleich Gadenstedt mit Groß Lafferde auch die ortsunabhängigkeit nachweisen. Der Verlauf war ähnlich. Daher konnte gezeigt werden, daß in den Schilfbeeten ein hervorragender Abbau stattfände.
Der Schwermetallabbau wurde dann ebenfalls untersucht. Hier wurde aus einer ursprünglichen Ackumulation im Klärschlamm ebenfalls eine Reduktion/Abbau mit dem Alter der Probe nachgewiesen. Calcium, Magnesium und Schwefel-Gehalte sinken ebenfalls, wenn auch weniger stark.
Beim Schwermetallgehalt in der Biomasse wurde hier eine Ackumulation (Eisen, Zink, Chrom) im Wurzelgehalt festgestellt, jedoch in einer Konzentration, die weit unter der zulässigen Konzentration liegt, die ein Ausbringen in die Natur/auf Felder zulässt.
Manfred Tinius stellte dann den Fäkalkeimabbau im Schilf-Nachklärbiotop dar. Er bezeichnete das Schilf als bewachsenen Bodenfilter. Pro m² Schilf wird pro Tag etwa 10g O² produziert. In Gadenstedt wird so mit ca 1 ha Fläche 10t O²  jährlich produziert. Und zusätzlich nehmen die Pflanzen CO² aus der Luft auf. Alles kostenlos zuzüglich der Reinigungsleistung der Nachkläranlage.
Er widersprach der Behauptung, daß bei einer Fläche, die unter Waser stehe, dort gar kein Sauerstoff hinkäme. Schilf ist nämlich ein Rhizom, ein Hohlrohr-Gewächs, das durch die Wurzelmasse in den Boden einen Sauerstoffeintrag bewirkt, und somit für jahrelangen Abbau der Schadstoffe sorgt.
Man könnte mit diesem Gadenstedter Schilf theoretisch 30to ernten.
Das Schilf wird jedoch nicht geerntet, sondern dient als Kohlenstofflieferant (quelle) für die Bakterien und Mikroorganismen im Wasser, die dieses zur Umwandlung brauchen.
Der Vorteil gegenüber natürlichen Schilfbeeten und Teichen ist der, daß hier durch die Kläranlage viele Nährstoffe zugeführt werden. Und da wo Nahrung ist, da tauchen Lebewesen auf. Es kommt ein Sammelsurium an Leben in so ein Schilfbeet hinein.
Zu den Fäkalkeimen meinte er: das sind organische Stoffe, die wir ausscheiden, ebenso wie jedes Lebewesen in der Natur. Diese werden biologisch abgebaut/umgewandelt. Dieses funktioniert ähnlich im Nachklärbiotop Gadenstedt, als auch den Mischwasserbiotopen in Gadenstedt, Münstedt, Oberg.
So konnte hier statistisch ein Fäkalkeimabbau von über 94%, von 101.000 zu 6000 coli-Keimen pro Liter und einen Salmonellenabbau auf quasi null, zumindest bis zur Nachweisgrenze darstellen. Er statuierte hier im Ablauf eine Badewasserqualität.
Er resummierte: Die Natur hat hier nur mit Sonnenkraft und Bio-organismen somit einen kostenfreien und energiegünstigen hervorragenden Job übernommen. Die Unterstellung der unteren Wasserbehörde den Abwasserbetrieben gegenüber, die „Regeln der Technik“ zu mißachten, hat sich hier als Anwendung der „Regeln der Natur“ als wesentlich günstiger, effizienter und besser erwiesen. Zusätzlich hat dieses Verfahren mittlerweile Eingang in die TA gefunden, und ist somit europaweit anerkannt nach Regeln der Technik.
Als letzter Referent sprach Professor Oelke über die biologische Qualität des Expo-Projektes für Ornitologen. Zusammen mit seinen Mitarbeitern (dankend an: Hans Jürgen Lünser (+Feb.2014), Jürgen Streichert, Fam. Genzel, Herr Bauck, Rainer Tonn u.a.) fängt er seit 2003 mit hauchdünnen (Japan-)Netzen Vögel, die dann beringt und wieder freigelasen werden.
So kritisierte er die technische Entwicklung, die zu immer mehr Verlusten von Arten und Individuen führe. Nicht zu Ausrottungen, jedoch zu Ausdünnungen durch die Bevölkerungsexplosion.
Nach den verschiedenen Meß-Systemen, Siedlungsdichte (common bird), Nest-Zählung (nest-record), Beringungssystem (ringing), NABU (garden birds) – nimmt er teil am Beringungssystem der Helgoländer Vogelwarte. Hierdurch läßt sich der Vogel-Zug bei Neufängen verfolgen. Bei gezielten, langen Meßreihen.
Von 2003 bis kamen so über 9000 Stunden bis 2014 zusammen, bei 12-15 Aktionen pro Jahr, von April bis Mitte November.
Er berichtete von weit über 1000 Fängen und Widerfängen pro Jahr, dabei Wasserrallen, Teichrohrsänger, Sperber, Bandmeise, Rauchschwalbe, Eisvogel, Blaukehlchen, Uferschwalbe, Reiherente (die bis nach Rußland, 200km südlich des nördlichen Eismeeres, somit 2389 km ziehen).
Im Mischwasserbiotop ist mittlerweile eine kleine Brutkolonie (10-12 Paare) dieser Enten beheimatet, die sich von den dortigen Fischen ernähren. Er berichtete von den dortigen Laubsängern und Zilpzalps rings um die Kläranlage. So sind hier türkische, polnische Zilpzalps nachweisen. Leztes Jahr wurde z.B. einer aus dem Himalaja-Raum, ein Tiger-Zilpzalp nachgewiesen.
Beim hiesigen Paradevogel, der Rohrammer, brüten hier nur 3-4 Paare, dennoch wurden gut 350 Vögel gefangen, ja sogar östlich-ukrainische Arten. In Frankreich gab es einen Widerfang einer Wacholderdossel, an der Biscaya, in Portugal und Spanien gab es Widerfänge der hier beringten Rohrammern, und in der Algave von Portugal gab es einen Widerfang einer Mönchsgrasmücke.
Er sprach von den hier auch beheimateten Mauerseglern, die (dank moderner Geolokatoren gemessen) oft monatelang in der Luft bleiben, in der Luft rasten und schlafen, die 14 Tage lang bis zu den Tropenwäldern von Westafrika gut 6000km bei Geschwindigkeiten von 100-200km/h zurücklegen.
Er resummierte, daß sich die Zugrichtung ein wenig drehte. Es gibt kaum Widerfunde aus dem Balkangebiet, dagegen ist die Ost-West-Richtung mittlerweile viel verbreiteter.
Die Vögel futtern sich hier in der Kläranlage fett, sie tanken sozusagen auf, und sind dann in der Lage auch große Strecken zurückzulegen.
Zu den Tends: Bei den ehemals bedrohten Dorngrasmücken konnte er nun eine Bestandszunahme nachweisen. Bei den Grasmücken gab es durch die Trockenheit in der Sahelzone erhebliche Verluste, die nun wieder ausgeglichen sind. Ebenfalls bei der Mönchsgrasmücke. Diese überwintert eigentlich im Mittelmeerraum, mittlerweile jedoch viel nördlicher, bis nach England hinein.
Bei uns sind gut 5 Grasmückenarten nachweisbar: Dorngrasmücke, Dachgrasmücke, Klappergrasmücke, Mönchsgrasmücke und die in niedersächsischen Mooren auftretende Sperbergrasmücke – als Raritäten.
Blaumeisen, die sonst in Wäldern verbreitet sind, treffen wir hier im Schilf ebenfalls an. Das ist eigentlich merkwürdig, aber mit dem hervorragenden Futterangebot hier zu erklären (Spinnen, Blattläuse etc).
Auch in diesem Jahr im ganzen LK Peine einzig, ein brütender Dosselrohrsänger.
Am Fuhseufer brütet eine Rarität, die Beutelmeise, die hier auch mit etlichen Fängen nachgewiesen wurde. Auch ein Bergfink wurde nachgewiesen.
Auch Dompfaff und Trompetergimpel (Mitte Sibireien) sind nachgewiesen, ein Brühfink, ein Mauersegler wurde gefangen.
Elstern brüten in der alten Kläranlage. Ein Pirol, ein Sommergoldhähnchen, eine Tannenmeise.
Die Schilfkläranlage ist eine Insel in der Landwirtschaft – so Professor Oelke.
Auch Waldvögel ziehen hier hin, wie Buntspecht, Tannenmeise, Sumpfmeise, Kleiber, Waldwasserläufer (wohl aus Mittelskandinavien) – In Gadenstedt hat man so die Gelegenheit ca 3000km um sich herum zu gucken. Ein Wiesenpieper, eine Zwergammmer im Oktober diesen Jahres, eine Zwergschnepfe, eine Lachmöven-Kolonie. Im Schilf lebende Wasserrallen, Teichrallen und Blessrallen. Auch Nachtigallen, und ein Sprosser sind hier gefunden worden.
Das Schilfgebiet gilt ganz vielen Vögeln als Nachtquartier. Schwalben, Schafstelzen, Stare – Schwärme bis zu 5000 Tiere.
Auch ein Rebhuhnpaar brütet an der Schilfanlage, Rabenkrähen, Ringeltauben, Mäusebussard, Turmfalken, 8 Rohrweihen (rote Liste B2) sind hier gesehen.
Herr Tinius ergänzte zur Rohrweihe, daß hier 4 dieser ganz schlauen Tiere jedes Jahr sind, und freute sich, daß das Futterangebot letztendlich die Tiere anzieht. Es sei herrlich, die Kläranlage zu betreten, und solches zu erleben.
Summa summarum sind hier 89 Vogelarten nachweisbar gewesen. Er schloß mit dem Hinweis auf die Nahrungsversorgung, dem Hotelvergleich: die Kläranlage Gadenstedt gehört aus Sicht eines ornithologischen Hotelmangers zu einem optimalem Angebot. Wir haben kaum ein Gebiet im gesamten Landkreis Peine, welches so optimal ist. Es war ihm ein ehrliches Bedürfnis, der Gemeinde und Manfred Tinius zu danken für dieses ideale Biotop.
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die Folien dieser Vorträge
Als Referenten sind eingeladen gewesen;
- Herr Prof. Dr. Gotthard Kunze und Herr Dr. Martin Giersberg vom Leibnitz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschun in Gatersleben.
Sie berichten über "Untersuchungen von Abwasserproben auf hormonelle Aktivitäten und deren Abbau - Prof. Kuschk o.ä. vom Helmholz Umweltzentrum Leipzig über "Bohrkernuntersuchungen aus der Klärschlamm-Trocknungstechnologie"
- Herr Manfred Tinius über "positve Leistungen der Schilfbeete im Bereich des Klimawandels" und "Ergebnisse der Fäkalkeimuntersuchungen"
- Prof Dr. Hans Oelke über "Ergenbisse der Vogel-Beringungsaktionen seit 2002", und "Monitoring von Vogelbeständen" im Raum Lahstdet
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